Dienstag, 13. Oktober 2009

Stellenvermittlung à la India

Die letzten 3 Wochen war ich in Indien und durfte - nebst sehr sehr vielen anderen Eindrücken - auch miterleben, wie Stellenvermittlung bzw. Personalbeschaffung dort abgeht.

Ort des Geschehens: Ein kleines Nest (Yuksom) in Sikkim, der Region im Nordosten von Indien, mitten im Himalaya. Wir starteten von dort unser 8-tägiges Trekking in die Kanjenchunga-Region. Mit Zelt, Yaks und eben: Trägern (oder auch Sherpas oder Porters genannt). Früh morgens haben wir uns am Ende des Dorfes eingefunden um die ganze Mannschaft zu treffen und loszulaufen. Unseren Trekking-Chef haben wir schon vorher kennen gelernt und er hat uns immer versichert, alles sei vorbereitet, alles sei bestens (no problem!).
Wie sich nun aber rausstellte, waren ganz einfach zu wenig Sherpas im Dorf. Alle professionellen Träger waren von einer grossen internationalen Expedition in Beschlag genommen worden und nur noch 6 Männer standen für uns zur Verfügung. Dies ist aber für eine längere Exkursion zu wenig. Wasser, Nahrung, Zelte - es war ganz einfach zu viel Material für zu wenig Leute.

Und nun begann der Prozess der Personalbeschaffung. Vor einer kleinen Hütte standen oder besser lümmelten 2 junge Studenten rum. Es waren gerade Semesterferien und die beiden freuten sich auf ein paar Tage nichts tun, Fussball spielen, cool sein, schlafen, essen - was indische (und auch nicht-indische) Studenten in den Ferien eben gerne tun.

Doch die beiden hatten grosses Pech. Unser Führer, zusammen mit dem Dorfältesten, hatte die beiden entdeckt und schnell war klar: Hier sind unsere beiden neuen Porter. Die beiden wurden nicht sehr höflich aber sehr bestimmt auf die Situation aufmerksam gemacht und informiert, dass sie soeben einen Job gefunden hätten und nun die nächsten 8-10 Tage mit uns zusammen in die Himalaya-Region trecken dürften. Je zwischen 20 und 30 Kilo gäbe es zu tragen.

Die Gesichtsfarbe der beiden änderte sich schlagartig (braun -> weiss). So hatten sie sich die Ferien natürlich nicht vorgestellt und nicht nur fanden die beiden trekken nicht so cool, auch waren beide sehr schmächtig und eigentlich überhaupt nicht für solche harte Arbeit gemacht (erfüllten die Muss-Anforderungen nicht - so würde es wohl im Fachjargon heissen).

Die beiden versuchten, sich zu wehren und das Unheil abzuwenden sprich den Job loszuwerden und andere "Opfer" (geeignetere Kandidaten) zu finden. Ohne Erfolg. Genau 5 Minuten bekamen sie Zeit, ein paar Kleider (warme wenn möglich!) zu holen und sich von ihren Familien zu verabschieden. Tatsächlich standen beide nach kurzer Zeit da und gesellten sich zu den anderen Trägern. Die Haare immer noch steil gegelt, an den Füssen Converse-Turnschuhe, saubere Hosen und coole Hemden - ein ziemlicher Kontrast zum Rest der Träger. Als sie dann die ihnen zugeteilten Rucksäche aufnehmen wollten, gab es noch einmal eine Gesichtsfarbveränderung. Von bleich wurden die beiden Gesichter nun hochrot vor Anstrengung. So viel Gewicht - uns taten die beiden schon jetzt leid.

Die nächsten 8 Tage werden die beiden nie mehr vergessen. Am ersten Tag gab es einen Aufstieg von 1700 M.ü.M. auf 2900 M.ü.M. Am nächsten Tag stiegen wir von 2900 M.ü.M auf 3900 M.ü.M. auf. Dann auf über 4400 Meter, dann wieder runter, dann wieder rauf, wieder runter, wieder rauf - jeden Tag Etappen von 6-9 Stunden. Den beiden schien das Trekking auf jeden Fall bedeutend weniger gut zu gefallen als uns. Mit grosser Verzögerung trafen sie jeweils an den Übernachtungsplätzen ein (und mussten dann erst noch helfen, Zelte aufzustellen oder Wasser zu suchen), das Mittagessen fiel häufig für die beiden ins Wasser, sie schafften es ganz einfach nicht, rechtzeitig zum Lunch bei uns zu sein und wir waren zusammen mit den anderen Trägern bereits wieder auf dem Weg, wenn die beiden endlich eintrafen. Die Frisuren, Schuhe und Kleider der beiden sahen jeden Tag ein bisschen trister aus.

Aber: Sie gaben nicht auf (sie hatten eigentlich auch keine Wahl...). Sie haben sich prächtig entwickelt und sind an den Aufgaben gewachsen und haben ihr Potential abgerufen. (Das war jetzt wieder Fachjargon.)

Gegen Ende des Trecks konnten die beiden mit den anderen Sherpas fast mithalten und haben sogar wieder freundliche Gesichter gemacht. Als wir am 6. Trekkingtag dann die Yaks nicht mehr mitnehmen konnten (es wurde zu steil für die Tiere), wurde noch zusätzliche Last auch auf die beiden Juniors verteilt. Und siehe da: es ging. Ganz schön stolz waren sie auf ihre Leistungen. Zu Recht.

Es gab für die beiden (und auch für die anderen Träger und für uns) noch ein paar weitere Überraschungen zum Beispiel eine nicht geplante Übernachtung im Dschungel inmitten von Tausenden von Blutegel oder nicht ungefährliche Kletterpartien im Fels (ohne Seil, dafür mit Converse-Schuhen...).

Eine Riesenleistung. Das Trinkgeld war auf jeden Fall grosszügig und beim Adieu sagen, waren die beiden mächtig stolz und strahlen uns an (sogar das Gel im Haar glänzte wieder).

Ganz sicher bin ich aber, dass sich die beiden für die nächsten Ferien eine andere Strategie ausdendenken werden (zum Beispiel unsichtbar machen). Einfach so rumtrödeln mitten im Dorf kann zu einem ungewollten Einsatz sprich Job führen.

Nun bin ich zurück aus Indien und werde mich wieder mit den hier üblichen Formen der Personalsuche und Stellenbesetzung beschäftigen. Die indische Version wäre aber eigentlich auch hier prüfenswert. Wie ist mir noch nicht klar, lassen wir die Idee noch ein bisschen reifen.

Namaste.

Gabriel Bosson

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